Detmold Tenor Tilman Lichdi wird zum “Star” des Abends

Vorbildliche Leistung: Barockakademie der Hochschule für Musik bringt Bachs Johannes-Passion zur Aufführung

Detmold: Gemeinsam mit Ulrike-Anima Mathe und. Benno Schachtner hat Ger-hard Weinberger einmal mehr eine vorbildliche Aufführung Bachscher Oratorienkunst ver-wirklicht: Am Samstag erleb-te die Johannes-Passion, aufge-führt von der Barockakademie, eine frenetische Aufnahme durch das Publikum im sehr gut besuchten Konzerthaus. „Da gedachte Petrus an die Worte Jesu und ging hinaus und weinte bitterlich.” Jeder Besucher hat es nicht nur ge-hört, sondern gesehen: das zit-ternde Schluchzen nicht nur der Stimme, sondern des gan-zen Körpers. Seines Körpers. Tenor Tilman Lichdi war der Star des Abends, war der Star der Aufführung, war der „Star” Weinbergers.
Ensemble und Kammerchor machten hörbar, was Stefanie Rauch in ihrer klugen Einfüh-rung in das Werk ankündigte: eine „Oper im Oratöriumsge-wand”, die dramatische Verto-nung des zentralen Gleichnis-ses aller christlichen Religionen, der Verfolgung und Kreuzigung des Menschensöhnes, wie sie im Johannes-Evangelium nie-dergeschrieben wurde. Und eben jener Tilman Lich-di verkörperte im wahrsten Sinne des Wortes jenen Evan-gelisten. Er verfügt über eine Tenorstimme von solcher in-
neren Freiheit, Reinheit und „Selbstverständlichkeit”, als wäre es nicht jene Stimmlage, die nur wenige Sänger wirk-lich haben. Er vermag mit die-ser Stimme darüber hinaus das zu tun, was der Weltstar Tho-
mas Quasthoff immer wieder einfordert: Ein Sänger muss die Geschichte „sichtbar machen”. Und sichtbar machen heißt zu-allererst, die Gefühle hörbar, ja mitfühlbar zu machen. Und eben das tat Lichdi in einer bis dato in Detmold nur ganz sel-ten erlebten Weise. Lichdi singt in einer Liga, die es den anderen Solisten nicht leicht machte, neben ihm zu be-stehen. Fabian Kuhnen mach-te als Christus insofern noch eine sehr gute Figur, und auch Corinna Kuhnen (Sopran) und Britta Stege (Alt) überzeugten zunehmend deutlicher. Flori-an Fuckner hatte die Partie des , Pilatus übernommen. Die opernhafte Wirkung hat-te ihren entscheidenden Grund aber in der hervorragenden Leistung des Chores und des

Toller Tenor: Tilman Lichdi nach dem Konzert. FOTO: SCHWABE
Ensembles, insbesondere der obligaten Soloinstrumente. Der Chor brachte Volkes See-le wahrlich zum Kochen, ohne dass die Plastizität der dich-
ten Sätze Bachs verschwamm. Von den Instrumentalisten sei hier der Flötistin Anita Farkas für ihre musikalische Vertie-fung der Sopranarie „Ich folge dir gleichfalls…” ganz beson-ders gedankt. Toll auch die ob-ligaten Geigen im Bass-Arioso „Betrachte meine Seele…” Hier wurde ganz besonders deutlich, wie tief das Spiel ohne Vibra-to in die Seele der Musik ein-dringt. Weinberger unterstrich die opernhafte Wirkung des Ora-toriums durch seine wunder-bar dichte Zusammenlegung der einzelnen Nummern, die die von Bach so wunderbar auskomponierten Kontraste zwischen Dramatik und Be-sinnung, zwischen Geschehen und Lehre nachhaltig unter-strich. (ans)

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